Sonntag, August 13, 2006

Der Bulle von Sneem



Es war einmal ein Jungbulle. Er war schon in die Pubertät gekommen und fühlte, das für dieses Alter typische Freiheitsverlangen. Er war ein schöner kaffeebrauner Bulle, mit einem imposanten breiten Kopf, auf dem sich Hörner sehr gut gemacht hätten, hätten sie wachsen dürfen.
Wie Rinder es so tun, fraß er gemächlich vor sich hin. Seine Kumpanen blökten zufrieden. Die Weide war groß und saftig, grün und duftend. Eigentlich hätte alles so sein können wie jeden Tag. Doch ein Gedanke fraß sich langsam in das Gehirn dieses bewußten Bullen. Er wollte gerne wissen, was auf der anderen Seite des Zaunes vor sich ging.
Während er an einem Maul voll Gras genüßlich kaute, blickte er zu seinem Freund seit Kälbertagen, einem stattlichen weißen Bullen, hin , und muhte die Botschaft:

"Ich geh mal gucken was da draußen los ist!" und die Frage: "Kommst du mit"?,
stellte sich von ganz allein, da sie bisher alles gemeinsam getan hatten. Doch sein Freund schaute ihn verdutzt an und begriff das alles garnicht.
"Was soll ich denn da draußen? Da ist's gefährlich, da laufen diese seltsamen Ander-Rinder mit den vier runden Kreisen und wer weiß was noch alles herum! Was willst du denn da, hier ist doch alles prima?!"

"...mmhhuhh, nur mal gucken, vielleicht finde ich meine Mutter oder eine nette Jung-Kuh oder besseres Gras..., auf jeden Fall geh ich, mit oder ohne dich!"

"Nein, tu das nicht! Du kommst nicht wieder. Bite bleib hier! Noch nie ist einer von uns wieder gekommen, der die Weide verlassen hat! Komm, wir spielen "Kopf-aneinanderstossen, so wie immer!"

Nöööh, ich gehe!"
Gesagt, getan. Wo ein Wille, so auch eine Lücke im Zaun. Auf einmal stand der braune Bulle auf der anderen Seite des Zaunes und... war sehr erstaunt! Alles sah von hier ganz anders aus. Er blickte auf die Weide zurück und auf all seine Freunde, die ihm besorgt und zum Teil auch neidisch nachschauten und wäre fast wieder umgekehrt - aber nein - jetzt da er draußen war, wollte er auch gern noch ein wenig herum schauen. Er nahm also die Straße unter die Hufen und lief los. An den Wegesrändern sah er Pflanzen, die es auf der Weide gar nicht gab. Davon probierte er erst einmal.
Gerade als er im Begriff war, sich über eine Fuchsienhecke herzumachen, schreckte er hoch, denn es kam eines dieser Ungetüme auf ihn zu, die er sonst immer nur hatte vorbeirollen sehen. Es rollte dann auf einmal sehr langsam als es ihm näher kam und da unser Bulle nicht wußte ob dies eine Drohgebärde sein sollte, beugte er vorsichtshalber seinen Kopf. Hörner hatte er ja, wie gesagt, keine aber sein Kopf war trotzdem ganz schön hart. Er hatte schon viele Rangelkämpfe mit seinem Freund gewonnen. Das Ander-Rind schien auch Angst zu haben, denn es wich ihm vorsichtig aus. Durch seinen Erfolg selbstsicher geworden, stolzierte er weiter die Straße herunter und fiel in einen leichten Rindergalopp, das heißt, er schmiss seine Hufe nach links und rechts und warf seinen Kopf nach hinten. Dann kamen Menschen, wie sein Bauer aber auf zwei runden Kreisen daher. Auch die schienen Angst vor ihm zu haben. Sie schrien laut und versuchten ganz schnell an ihm vorbeizukommen. Er verstand das gar nicht. Sein Bauer, die Frau und deren Kinder hatten nie Angst vor ihm. Im Gegenteil, er und seine Freunde fürchteten sich vor ihnen, wenn sie laut riefen und sie mit einem Stock auf die Weide trieben.
Nun, er stromerte noch eine Weile herum, probierte hier und da eine Pflanze die für ihn neu war und fand die Freiheit einfach herrlich! Bis er plötzlich von einem der heranrauschenden Ander-Rinder fast gestoßen worden wäre. Davon hatte er einen solchen Schrecken bekommen, daß er auf einmal nur noch ganz schnell nach Haus auf seine Weide wollte.
Doch, wo war die denn? Er hatte völlig die Orientierung verloren! Er sah eine Straße, die rechts abbog und ging die entlang. Doch es roch da alles ganz fremd und sah auch so aus. Er lief also wieder zurück, jetzt schon sehr aufgeregt und muhte verloren vor sich hin. Auf einmal hörte er seinen weißen Freund antworten. Er lief so schnell er konnte auf diesen vertrauten Laut zu. In der Zwischenzeit kamen immer mehr Ander-Rinder vorbei, die sich ähnlich verhielten wie das erste und seine Verwirrung nahm immer mehr zu. Dann endlich stand er auf der anderen Seite des Zaunes, seinen Freunden gegenüber. Doch, wie wieder herein kommen? Wenn unser Bulle für ein Rind ganz schön schlau war, Tore öffnen konnte er nicht. Das Loch im Zaun konnte er auch nicht mehr finden. Er brüllte ganz furchtbar verzweifelt. Er wollte nichts anderes als endlich wieder auf seine Weide. Sein Freund, der wieße Bulle, stand mit besorgtem Blick auf der anderen Seite und ermutigte ihn.

"Gib es nicht auf! Du schaffst es schon!"

Eine Fee saß unbemerkt von dem Bullen, unter einer Fuchsienhecke, neben der Weide und sah die echte Verzweiflung des Bullen und obwohl sie sich bisher leise kichernd über die Bemühungen des Bullen amüsiert hatte, wurde ihr Herz jetzt doch angerührt. Sie entschloß sich, ihm zu helfen und vollführte mit ihrem Zauberstab eine elegante Bewegung und...siehe da...., das Gatter öffnete sich!
Der Bulle konnte seinen Augen kaum trauen! Das Hindernis war nicht mehr! Unter lautem Hurra-Gebölke seiner Freunde, schritt er durch die Öffnung. Sein Freund freute sich so sehr ihn wieder bei sich zu haben, dass er einen Luftsprung vollführte. Nun ja, so wie Rinder halt Luftsprünge machen. Unser Bulle war wirklich sehr erleichtert wieder zu Hause zu sein. Und so stießen die beiden Freunde erstmal ihre Köpfe zusammen und rangelten eine Runde, kalberten so zu sagen richtig herum.


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