Freitag, August 25, 2006

EINE GUTENACHT-GESCHICHTE





Diese Geschichte ereignete sich in einem Land. Der Name des Landes ist unerheblich und wird vielleicht von jedem von euch einen anderen Namen bekommen. Der Ort in dem wir uns befinden hat keinen Namen. Eigentlich kann man gar nicht sagen, daß dieser Ort einer ist. Er besteht aus fünf recht unterschiedlichen Behausungen, die als einziges gemeinsam haben, dass sie alle etwa zur selben Zeit erbaut wurden.

Fangen wir mal mit Alfons‘ Haus an. Es ist auf den ersten Blick ein sehr nüchternes Haus. Es ist schmal und hoch. Die Fenster sind genau dort, wo Fenster zu sein pflegen, die Tür macht da keine Ausnahme. Doch bei näherem Hinsehen bemerkt man, daß dieses Haus beinahe, beinahe durchsichtig ist. Die Scheiben sind nicht durch störende Vorhänge verhangen, so daß man geradewegs in das fröhliche Innenleben des Hauses blickt. Die Räume sind nicht übertrieben groß aber geräumig. Man hat den Eindruck, die Zimmer seien noch nicht fertig eingerichtet, aber sie haben schon jetzt eine ganz eigene Ausstrahlung, der man sich nicht entziehen kann.
Das zweite Haus, ist im Verhältnis zu den anderen eher klein. Von aussen sieht es fast wie ein Hexenhäuschen aus. Die Fenster sind in unterschiedlichen Höhen angebracht, sie sind klein und haben ein Kreuz. Die Tür ist aus schwerem Holz, mit einer reichhaltigen Verzierung und einem schmiedeeisernen Griff, der sich jedem Besucher angenehm in die Hand schmiegt.

Rote Ziegel strahlen einem entgegen. Der Schornstein raucht die meiste Zeit des Jahres. Durch die immer etwas beschlagenen Fensterscheiben sieht man in einen gemütlich ausgestatteten Raum, in dem aber jeder Gegenstand eine liebevolle Eigenart hat. Die Bücher sehen alle etwas verwittert aus. Ihre Ecken haben Eselsohren und biegen sich nach außen. Die klobige Kaffeetasse, die auf dem Tisch steht, hat keinen Henkel. Das Zimmer ist zwar keineswegs aufgeräumt, doch man spürt, daß alles durchaus seinen angestammten Platz hat. In diesem Haus wohnt Elias.

Brunhild besitzt ein Häuschen, in dem nur eine Person wohnen kann. Es hat stabile Mauern, die auch der stärkste Wind nicht um blasen kann, obwohl dieser manchmal durch die bisher noch nicht vergipsten Fugen pfeift. Der Bewohnerin wird dann etwas fröstlich und sie wundert sich, warum sie die verdammten Ritzen immer noch nicht zugemacht hat. Im Haus sieht man, wenn man durch die Spalte des schweren Samtvorhangs blickt, einen Kamin in dem ein warmes Feuer lodert. Alles andere liegt erstmal im Schatten. Man ahnt, daß in diesem Haus ein stilles aber sehr bestimmtes Leben vor sich geht, das so schnell niemanden in seine Geheimnisse einweiht. Man bekommt auf jeden Fall Lust, es sich neben diesem Feuer gemütlich zu machen und
sich vorsichtig an dieses geheimnisvolle Leben heran zu tasten.

Cäsars‘ Haus ist breit angelegt. Es ist schon von Weitem zu sehen. Die Türen stehen sperrangelweit offen. Stehen sie absichtlich offen oder sind sie nur vergessen worden zu zumachen? Die verputzten Wände sind in einem angenehmen Braun gestrichen, die Fenster ziehen sich über die ganze Hausfront. Hinein schauen kann man jedoch nur, wenn man durch die üppig wuchernden Pflanzen hindurch späht. Dann fällt der Blick auf große Räume, die eigenartig aufgeteilt sind. Man sieht eng vollgestopfte Nischen, in denen kein Fingerhut mehr Platz hätte und dann wieder, große Freiflächen in denen das Licht ungehindert sein Spiel treiben kann. Obwohl die Aufteilung der Räume keinen offensichtlichen Sinn ergibt, spürt man doch dass dies so sein muss, dass es für den Bewohner einen ganz bestimmten Zweck erfüllt, der nicht durch modernen Geschmack gestört werden darf.

Am Abend einer Vollmondnacht hörte Elias, der zufällig mal in seinem Häuschen weilte. Er pflegte dies nicht all zu oft zu tun, weil er Geselligkeit und den Wein liebte, ein eigentümliches Kratzen und Scharren, das aus dem Garten zu kommen schien. Er dachte an Katzen oder Hunde die sich dort an irgendeinem erjagten Teil zu schaffen machten, doch dazu war das Geräusch zu regelmäßig. Elias war ein leicht zu ängstigender Mensch, deshalb ging er nicht gleich hinaus um nachzusehen, sondern wunderte sich weiter und hoffte, daß das Geräusch einfach irgendwann aufhören würde. Irgendwann hörte es auch auf. Elias war beruhigt und beschloss am Morgen nachzusehen und nach Spuren zu suchen. Er räkelte sich wohlig stöhnend unter seinem schweren Federbett und pustete die schon fast herunter gebrannte Kerze auf seinem Nachttischschrank aus. Ein schwerer Arbeitstag lag hinter ihm. Die Kunden waren wirklich nicht einfach zufriedenzustellen gewesen. Er hatte einen Entwurf nach dem
anderen vorlegen müssen. Nichts schien zu gefallen. Die restliche Arbeit war liegen geblieben und mußte dann nach dem die schwierigen Kunden endlich gegangen waren, noch nachgeholt werden. Elias hatte also gar kein Interesse irgend einem seltsamen Geräusch nach zu gehen. Als er die Augen schloss, erschien noch kurz das Bild seiner Herzallerliebsten vor seinem inneren Auge und mit einem zufriedenen Lächeln auf seinem runden Gesicht, schlief er ein.

Doch Elias war nicht der Einzige der das Kratzen und Scharren gehört hatte. Brunhild hatte kurz den Kopf aus dem Fenster gehalten und mit starker aber leicht bebender Stimme,“Wer ist da?“, gerufen. Da sie jedoch keine Antwort bekommen hatte, ihren Kopf schnell wieder herein gezogen, das Fenster fest verriegelt und den schweren Samtvorhang zugezogen. 
Cäsar war mit einem Stuhlbein bewaffnet hinters Haus gegangen und hatte sich kurz umgeschaut. Da das Geräusch aber verstummt war, begab er sich schnellstens wieder in seine schützenden vier Wände. 
Daniel hatte es gar nicht gehört und fest geschlafen. 
Alfons war der Einzige, dem die Ursache des Geräusches keine Ruhe lies. Er wollte unbedingt herausfinden, was da so einen Lärm machte. Also schlupfte er beherzt in seine Stiefel, stapfte in seinen Garten und ging dem Geräusch nach. Irgend etwas blitzte im Mondlicht hell auf – ein Rascheln – und dann war Ruhe. Alfons ging vorsichtig zur Stelle hin. Jemand hatte versucht in dem harten sandigen Boden ein Loch zu graben. Das Loch war jedoch nicht sehr tief. Es reichte gerade bis zu Alfons‘ Handgelenk. 
„Wer buddelt da wohl in meinem Garten ‚rum?“ Alfons suchte alles noch einmal genau ab und gerade als er umkehren wollte, entdeckte er etwas hell Blinkendes auf dem Boden. Als er es aufheben wollte, schnitt er sich beinahe in den Finger. Es war die Spitze einer Messerklinge! Alfons steckte das glänzende Stück vorsichtig und behutsam in seine Jackentasche und machte sich nachdenklich auf den Rückweg ins Haus. Fast hatte er die Tür erreicht, als er nochmals ein Geräusch hörte, diesmal jedoch klang es wie leises Wehklagen und schien aus dem angrenzenden Wald zu kommen. Da wurde es auch Alfons unheimlich und er schloß die Tür fest hinter sich zu. Am Schreibtisch untersuchte er sorgfältig seinen Fund. Es war eine eigenartige kostbare Klinge, reich verziert mit Mustern und Symbolen. Diese Messerspitze war augenscheinlich abgebrochen und sah aus als sei sie schon alt und viel gebraucht. Die Muster waren so fein gearbeitet, dass jemand viel Mühe, Arbeit und Zeit mit der Ausführung verbracht haben mußte.

Am nächsten Morgen erzählten alle einander von den eigentümlichen Geräuschen in der Nacht. Alias war sehr beunruhigt, als er hörte, daß die anderen auch Geräusche gehört hatten. Andererseits war er froh, daß er nicht so neugierig war wie Alfons! – Wer weiß was da alles hätte passieren können !  Brunhilde dachte sich ihren Teil. Daniel überlegte ob ihn die anderen nicht auf den Arm nahmen mit ihren Geschichten von seltsamen Geräuschen in der Nacht. Alfons mußte mehrmals beschreiben was vor sich gegangen war und zu guter Letzt, rückte er auch mit der Klinge heraus. Elias blieb fast das Herz stehen!
Nun gab es kein Halten mehr: Handelte es sich etwa um eine Tatwaffe? War ein Verbrechen geschehen? Hatte jemand versucht eine Leiche in einem ihrer Gärten zu vergraben und war immer wieder bei seiner Arbeit gestört worden?

In Wirklichkeit war alles ganz anders . Allerdings war Feodora die Einzige die das auch wusste. Feodora war eine kleine, eher unscheinbare Waldhexe. Sie stand kurz vor ihrer ersten großen Prüfung. Ihr ganzes zukünftiges Hexendasein hing von dieser Prüfung ab. Im Augenblick war Feodora sehr betrübt und sehr besorgt und hegte große Zweifel ob sie überhaupt eine richtige Waldhexe mit allem Drum und Dran werden könnte. Sie rieb sich in einem fort ihr langes Kinn und seufzte dazu in allen Tonlagen. Sie hatte wirklich die schwerste aller schweren Prüfungsaufgaben bekommen. Feodora kuschelte sich noch tiefer in das große Loch ihres Lieblingsbaumes und grübelte noch weiter, während dem sie ein kostbar ziselierten Messergriff mit abgebrochener Klinge hin- und her wendete. So ein Ärgernis! Wie hatte das nur geschehen können? Und was sollte sie nun tun? Ohne Messerspitze und ohne Zauberkräfte? Das eine hatte sie verloren, und das andere durfte sie während ihrer Prüfung nicht gebrauchen. Und ausserdem waren ihre Schnürsenkel wieder miteinander verbunden! Das konnte doch nur Ebersholm gewesen sein! 
„Ach, Ebersholm, laß das doch! Ich habe jetzt keine Zeit für deine albernen Spielereien! ", rief sie verärgert. Ebersholm grinste vergnügt über beide Ohren. Er war ein noch sehr junger Waldgeist, gerade mal eben 200 Jahre alt und hatte noch nie in seinem Waldgeistleben irgendeine schwierige Aufgabe zu lösen gehabt. 
„Na komm Feodora, du willst doch nicht den ganzen Tag in deinem langweiligen Baum hocken und trüben Gedanken nachhängen.“ In diesem Augenblick schüttelte sich der Baum und warf mit vielfältigem Plop, Plop, Plop, schöne große Kastanien ab. Eine von ihnen traf Ebersholm und warf ihn von seinen kurzen Beinen. 
„Ja ja, ist ja gut, ich hab’s ja nicht so gemeint!“, rief Ebersholm sich aufrappelnd. „Ich wollte doch nur Feodora aufmuntern.“ Eigentlich wollte Ebersholm Feodora noch vorschlagen die Wiesenfeen zu ärgern und ihre Blumenkelche zu schließen, doch er lies es dann doch lieber.
„Ebersholm, du wirst dich noch in große Schwierigkeiten bringen, wenn du nicht lernst auf dein loses Mundwerk zu achten“, schimpfte Feodora. “Außerdem habe ich große Sorgen. Ich muß nicht nur meine erste große Prüfung bestehen, nein, auch das Leben aller Feen dieses Waldes steht auf dem Spiel. 
„Traurig blickte sie auf den Messergriff in ihrer Hand. „Du weißt doch was mir in der Nacht passiert ist, ich kann froh sein, das dieser Mensch mich nicht gefangen hat.“ 
„Aber die Menschen sind doch viel zu langsam um eine flinke Waldhexe wie dich fangen zu können. „,bemerkte Ebersholm, lässig auf einem Zweiglein wippend und mit den Beinen baumelnd. 
“Du vergißt, lieber Ebersholm, daß ich vorläufig keine Zauberkräfte mehr benutzen darf, bis ich meine Aufgabe erfüllt habe. Im Augenblick könnte mich sogar ein kleines Menschenkind einholen. Ausserdem habe ich die Klinge meines Messers verloren. „Bei den letzten Worten kullerte eine Träne über ihre blasse Wange. 
„Wein doch bitte nicht Feodora, mich juckt's dann immer am ganzen Körper und ich weiß gar nicht was ich machen soll!“, sagte Ebersholm, sich am ganzen Körper kratzend. Er verrenkte sich dabei so possierlich, dass Feodora dann doch lächeln musste. Sie kam aus ihrem Baum heraus und setzte sich auf den Waldboden. 
„Nun, hör schon auf dich zu kratzen und hilf mir lieber zu überlegen wie ich meine Messerklinge wiederbekommen kann. „ Ebersholm war so froh, dass Feodora nun doch aus ihrem Baum herausgekommen war und für den Augenblick nicht mehr weinte, dass er versuchte ein angestrengtes, nachdenkliches Gesicht zu machen. 
 „Ich weiß," rief er gleich darauf aufgeregt, „du gehst einfach zum „Großen Schmied“ und lässt dir ein neues Messer machen.“ Ebersholm strahlte und hüpfte was das Zeug hielt. „ Es würde viel zu lange dauern, außerdem gäbe es nicht noch einmal ein Messer mit den gleichen Zaubereigenschaften“, antwortete Feodora
betrübt. „Dann fällt mir auch nichts mehr ein“, sagte Ebersholm, doch ein Blick in Feodoras‘ Augen zwang ihn sich noch einmal anzustrengen. 
„Geh doch einfach hin und frag ob du die Klinge nicht wieder haben kannst!“, schlug er jetzt vor und wollte sich nun doch bald aus dem Staube machen denn ernsthafte Schwierigkeiten waren nun mal nicht seine Angelegenheit. 
„Warte doch Ebersholm vielleicht kannst du mir helfen. Natürlich kann ich nicht einfach hingehen und um die Messerklinge bitten aber vielleicht könnte ich sie mit deiner Hilfe zurückholen.


(Fortsetzung folgt!)

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