Freitag, August 25, 2006

Die Zirkuskuh (für Christiane)

Es war einmal eine Kuh. Die war ganz schlau. Eigentlich war sie für eine Kuh viel zu schlau. Sie verstand von der Welt zum Teil, mehr als die Menschen.
Des Winters stand sie im Stall, wie alle ordentlichen Kühe. Sie hatte Glück, weil sie einen besonders netten Bauern hatte. Der sorgte dafür, daß sie im Winter regelmäßig gestriegelt und der Stall oft ausgemistet wurde. Doch trotz der guten Fürsorge, war ihr der Winter immer viel zu lang. Sie stand dann in ihrem Stall, und träumte mit sehnsüchtigen braunen Augen, von einer fetten Sommerweide. Sie sah die verschiedenen Pflanzen deutlich vor sich. Die Blumen, die sich im lauen Sommerwinde bewegten. Sie spürte die Sonne auf ihrem schwarz-weiß- gefleckten Rücken niederbrennen.
Sie stampfte mit der rechten Hinterhufe auf, weil sie merkte, dass sie tag träumte und sich ärgerte, dass ihre Vision keine Wirklichkeit war. Doch nach sieben langen Monaten, öffnete der Bauer die Stalltüren ganz weit und sie und ihre Freundinnen wussten: Jetzt! Jetzt ist es soweit! Im Kuhstall erhob sich ein Tumult. Eine nach der anderen wurde aus ihrer Box geführt. Sie muhten sich gegenseitig ihre Begeisterung zu. Und dann war es auch für Isabella soweit. Sie verließ den dunklen Stall und stand in der Sonne. Sie hielt einen Moment inne und nahm alles auf. Dann stürzte sie los, schmiss die Beine in die Luft, machte Bocksprünge und galoppierte drauf los. Sie lief und lief, hörte hinter sich die aufgeregten Rufe des Bauern und seines Sohnes, doch nichts konnte sie mehr aufhalten. Davon hatte sie so lange geträumt. Das sie auf einen Zaun zu rannte, hatte sie in ihrer Begeisterung nicht gemerkt. Glücklicherweise war es kein Stacheldrahtzaun, denn sie rannte den Zaun einfach um. Auch dann hielt sie nicht inne, sondern rannte weiter durch das knietiefe Gras. Der Bauernhof war schon nicht mehr zu sehen. Am Waldrand angekommen, lief sie langsamer. Bäume in Mengen waren ihr etwas unheimlich.
Überhaupt kehrten jetzt ihre bovinen Instinkte langsam wieder und sie nahm Einzelheiten der Weide auf der sie stand, wieder wahr. Da auch der Bauer scheinbar keine Anstalten gemacht hatte, sie wieder ein zu fangen, fühlte sie sich auf einmal einsam und ein wenig ängstlich. Wie alle Wesen, die eine Zeitlang eingesperrt waren, musste sie sich erstmal an all den Raum um sie herum gewöhnen.
Sie senkte ihren Kopf und begann zu grasen, was sie beruhigte. Vertieft in den abwechslungsreichen Nuancen und Geschmacksvarianten des Grüns unter ihr, nahm sie den Fuchs erst wahr als er wenige Meter vor ihren Kopf stand.
Er saß auf seinen Hinterläufen, sein buschiger Schwanz hinter sich ausgebreitet und legte den Kopf schief.
"He Kuh!", rief er sie an. "Du solltest hier nicht alleine 'rum laufen. Man weiß nie was einer Einzelkuh so alles passieren kann in Waldesnähe. Was macht du hier überhaupt?"
Die Kuh,. die einmal Isabella getauft worden war, hob überrascht den Kopf und machte einen etwas unbeholfenen Hüpfer zur Seite. Isabella fing sich wieder als sie bemerkte, das der Fuchs keine Anstalten machte näher zu kommen und schaute ihn von Kiefer zu Kiefer malmend ,nachdenklich an.
"Das ist eine gute Frage, Fuchs", antwortete sie schließlich. "Ich habe keine Zeit gehabt darüber nasch zu denken, weißt du. Ich bin einfach gelaufen und gelaufen, bis ich hier her kam. Im Augenblick genügt es mir einfach hier zu sein. Das Gras ist gut und saftig und ich rieche keine Gefahr."
"Das mag ja sein, doch du gehörst doch in eine Herde zu den anderen Kühen, mit der Wachkuh, die aufpasst, dass euch anderen nichts passiert. Ich habe noch nie eine Kuh alleine gesehen. Das kann nicht gut sein!"
Isabella hätte jetzt, wäre sie ein Mensch gewesen, mit den Schultern gezuckt. Da ihr diese Geste nicht zur Verfügung stand, senkte sie einfach den Kopf und graste weiter, den Fuchs somit ignorierend. Dieser macht nach einer Weile ein Geräusch das sich wie "Pühhh" anhörte und trabte weiter in die andere Richtung. Er kam sich sehr schlau vor, weil er wusste wie sich Kühe eigentlich zu benehmen hatten.
Isabella war inzwischen satt und legte sich zum Wiederkäuen hin. Sie roch die würzige Luft, sah die weißen Wolken am Horizont in einem Meer von blau und fühlte sich rundherum wohl, während die warme Frühlingssonne ihr das Fell wärmte. Genau davon hatte sie solange geträumt. sie schloss die Augen und schnaubt vor Wohlbehagen.
Ein nervöses Geraschel wenige Meter von ihr entfernt, ließ sie in die Richtung schauen.
"Ich hatte hier doch irgendwo noch etwas versteckt, wo habe ich es bloß wieder gelassen?", vernahm sie eine dünne Stimme. Dann erhob sich ein kleiner Kopf mit einer spitzen Schnauze aus dem alten Laub. Der Marder erstarrte und blickte sie fragend an.
"du bist doch eine Kuh, oder nicht?", fragte er.
"Ja, warum?"
Weil Kühe, erstens, sonst nie alleine sind und zweitens, nicht so nah am Wald und drittens, abends gemolken werden. Und es ist jetzt abends, das weiß ich genau, weil ich jetzt langsam Hunger bekomme."
"So!", sagte Isabella nur und schloss wieder die Augen, um sich dem Wiederkäuen zu widmen.
"Ach, nichts ist mehr wie es sein sollte!", bemerkte der Marder, sich raschelnd entfernend. Obwohl sich Isabella dem Marder gegenüber so gleichgültig gezeigt hatte, kamen ihr jetzt doch leise Zweifel. Da sie noch eine sehr junge Kuh war und noch nie gekalbt hatte, war das mit dem melken nicht wichtig. Doch jetzt wo es langsam dämmerte, erinnerte sie sich an Geschichten über die Dunkelheit, die ihre Urgroßmutter erzählt hatte und sie schauderte. Gleichzeitig fiel ihr auch eine Unterhaltung zweier Katzen ein, die sie überhört hatte. Die eine Katze hatte der Jüngeren beschrieben, wie wichtig es sei immer in Deckung zu bleiben und dass ein Wald mit gutem Unterholz die beste Deckung überhaupt biete.
Nachdenklich überlegte sie, ob das wohl auch für sie gelten könne. Sie sammelte ihre vier Beine unter sich zusammen und stand auf. Noch unsicher, ob sie das Richtige tat, näherte sie sich vorsichtig dem Wald. Hinter sich hörte sie auf einmal ein seltsames Klappern. Erschrocken drehte sie ihren Kopf und sah einen Storch auf der Wiese stehen.
"Nanu, wenn dat keene Koh is, freß ik en dribenigen Poch!", rief der Storch lauthals. "Die Gegend wird mir langsam unheimlich, sprach er weiter. Erstens gibt es minner weniger Frösche, der Fluss fließt ganz anders als er soll und diese Leinen, die sie überall in der Luft gespannt haben, behindern meinen Flug. Jetzt auch noch Kühe, die alleine am Abend in den Wald gehen.
Was um alles in der Welt tust du, Kuh?"
"Ich gehe jetzt in den Wald mich verstecken, damit keiner der mir Böses will mich finden kann!"
"Ja aber, wo ist denn deine Herde?"
Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, Aber es ist mir auch egal. Ich find es so schön hier und ich will auf jeden Fall nie wieder in einen Stall!" Isabella stampfte zur Bestärkung des eben Gesagten mit einem Huf auf.
"Ach so, und du meinst das geht so einfach, was? Da könnte ich ja gleich zum Bodenbrüter werden, wenn das alles so einfach ist. Du wirst schon sehen, ohne Herde geht für dich gar nichts, meine Liebe! Aber ich wird jetzt noch ein wenig nach Fröschen Ausschau halten. Mach's gut Kuh!" Sprach's und stapfte langbeinig davon.
Isabella bewegte sich weiter auf's Unterholz zu. Ob es wirklich unmöglich war, als Kuh alleine zu leben, überlegte sie. Es muss doch schon vor ihr einige gegeben haben, die es versucht hatten. Sie wünschte, sie hätte schon mal etwas davon gehört.
Der Wald umfing sie wie ein weiter Mantel. Nicht gewohnt sich im Dunkeln zu bewegen, blieb sie mehrmals stehen und starrte in die sie umgebende Nacht. Vor sich sah sie dann ein schwaches Licht glimmen. Froh darüber, stolperte sie darauf zu und blieb wenige Meter vor einer kleinen Kate stehen. Da sie Menschen bisher nur als freundlich erlebt hatte, muhte sie leise, um sich bemerkbar zu machen.
Nach einer kleinen Weile, erschien ein Mann mit einem langen weißen Bart an der Tür. Er hilt eine Laterne vor sich in die Höhe und plierte ins Dunkel.
"Wer ist da?" rief er.
"Muh," antwortete Isabella. Sie war sich sicher, er würde sie verstehen auch wenn er ihre Sprache nicht verstand.
"Oh ho! Eine wirklich seltene Besucherin!", rief er aus, als er sie im Dickicht ausgemacht hatte.
"Was kann ich für dich tun, du Schöne?"
"siehst du", dachte Isabella, er hat bereits einen Teil meines Namens erraten!"
Dadurch ermutigt, ging sie ein paar Schritte auf Mann und Haus zu.
" Na, dann komm man erstmal rein, meine Schöne, du fürchtest dich wohl alleine da draußen im Dunkeln , was?"
"Muh!", wiederholte Isabella zur Bestätigung.
"Meine Hütte ist zwar klein und Gesellschaft bin ich nicht gewohnt, doch für eine Nacht wird es wohl gehen. Komm nur!"
Er ging zurück ins Haus und Isabella folgte ihm. Er stellte die Laterne auf eine Anrichte und wandte sich ihr zu. Isabella war nicht ganz wohl in ihrem Fell. Zu sehr erinnerte sie die enge Behausung des Menschen an ihren Stall. Doch sie bahnte sich vorsichtig einen Weg durch Tisch und Stühle und ließ sich langsam vor dem warmen Kaminfeuer nieder.
"Ganz recht meine Schöne. Wärm nur deine Knochen. Die Frühlingsnächte sind zum Teil noch empfindlich kühl. Nun schau mir in die Augen und ich werde sehen was ich für dich tun kann. Denn niemand kommt wirklich zufällig zu mir. Die meisten, die zu mir kommen, haben allerdings in der Regel nur zwei Beine", sagte er kichernd. "Aber warum sollte nicht auch mal ein Vierbeiner meiner Hilfe bedürfen?", schloss er, die Schultern zuckend.
Damit ließ er sich vor Isabellas großen Kopf nieder und blickte ihr intensiv in ihre großen braunen Augen. Isabella nicht wusste was er da tat, schaute sie ihnen einfach weiter an.
"Ah ha", murmelte der alte Mann." Ich sehe, du warst mit deinem alten Leben unzufrieden und suchst nach deiner Bestimmung. Wir werden sehen."
Damit stand er auf und kramte in einer großen Schublade. "Na, wo sind sie denn nun schon wieder, ich weiß genau, dass ich sie hier hingelegt hatte, nach dem letzten Mal." Währenddem er weiter suchte, warf er den Inhalt rechts und links aus der Schublade.
"Ach, da sind sie ja! Wusst' ich's doch", rief er triumphierend und hielt ein Stapel Karten in der Hand. Lächelnd setzte er sich vor Isabella und begann die Karten zu mischen. Isabella sah seltsame Bilder auf den Karten und wenn sie auch eine schlaue Kuh war, hatte sie keine Idee was diese Bilder wohl darstellen sollten. Der Mann lege vorsichtig eine Karte nach der anderen in einer bestimmten Reihenfolge auf den Boden.
Da war ein Bild mit einem Mann der kopfüber hängte aber dabei lächelte, eine schöne Dame die scheinbar reich war, weil viel Gold und Juwelen zu ihren Füßen lagen und ein Reiter der unter stürmischen Wolken dahin galoppierte. Der bärtige Mann stützte sein Kinn in der Hand und murmelte Unverständliches. Als er hoch blickte und Isabella anschaute, bemerkte er bekümmert; "Also, wich muss sagen, für einen Vierbeiner die Karten zu legen, ist doch etwas schwieriger als ich gedacht hatte. Bei einem Menschen würde ich sagen, du musst den Beruf wechseln, dein Ungestüm etwas zügeln und dann gäbe es die Möglichkeit, dass dir viel Freude an irdischen Dingen winkte. Gingest du aber zurück," und damit zeigte er auf eine Karte, die Isabella bisher nicht bemerkt hatte, "wäre dir der Tod sicher."
Isabella blickte verwirrt und erschrocken auf die letzte Karte. Dort sah sie ein Gerippe auf einem Pferd. Sie stand so schnell auf, wie es einer Kuh möglich ist, nahm sozusagen die Beine in die Hand und stürmte aus der Hütte.

Die wackelige Tür machte ihr dabei keine Schwierigkeiten, die rammte sie nur einmal mit ihrem imposanten Kopf und schon hetzte sie nach draußen.
Der Mann folgte ihr bis zur Tür und schrie ihr nach, "Aber, so warte doch! Ich bin doch noch gar nicht am Ende. Du hast nicht verstanden!"
Doch Isabella meinte genug verstanden zu haben. Sie brach durch die Dornen und lief in wilder Panik durch's Gestrüpp. Leider hatte sie den Weg direkt ins letzte bisschen verbliebenem Moor genommen. Ihre Hufe sanken immer tiefer in den Morast. Panisch versuchte sie umzukehren. Sie schaffte es mit ihren Vorderläufen festen Boden zu erreichen. Doch eines ihrer Hinterläufe hatte sich unter einem modrigen Ast verfangen. Sie zog und zog, drehte und wand sich, muhte verzweifelt und...schaffte es, alle vier Hufe aus dem Morast zu ziehen. Nach wenigen Schritten konnte sie jedoch nicht mehr weiter. Der Hinterlauf der sich verfangen hatte, schmerzte furchtbar. Sie humpelte noch ein paar Schritte, blieb stehen und legte sich erschöpft und vor Schmerzen bebend hin.
Eine Welle der Verzweiflung überkam sie. Wäre sie doch nie aus ihrer vertrauten Umgebung ausgebrochen! Jetzt lag sie hier, verletzt, allein und im Dunkeln, ohne Schutz.
Sie versank in eine tiefe Starre und zog alle Sinne zurück. Irgendwann fiel sie in einen erschöpften Schlaf.
Durch ein leises Geraschel neben ihrem Kopf erwachte sie. Erschreckt wollte sie aufstehen, als ihr ein entsetzlicher Schmerz durch die Hinterhufe zog. Stöhnend sank sie zurück und erblickte den Fuchs.
Er sah sie aus einen schlauen Augen an und sprach: " Siehste! Ich hab's dir ja gleich gesagt, bringt nix ohne Herde. Das hast du jetzt davon.
"Oh!", stöhnte Isabella. "Es tut so furchtbar weh! Was soll ich jetzt nur machen? Ich kann nicht zum Grasen aufstehen!"
"Tja, hättest du auf mich gehört, dann wärst du jetzt in Sicherheit bei den anderen"
"Ach, was weißt du schon Fuchs," entgegnete Isabella. " Ich war gestern Nacht bei einem alten Mann, der hat mir die Karten gelegt und gesagt, wenn ich zurück ginge, wäre das mein sicherer Tod. Aber so wie die Dinge im Augenblick stehen, ist es wohl völlig egal. Sterben werde ich wohl so oder so." Isabella ließ den Kopf hängen und muhte kläglich.
"Meine Güte, wegen so 'nem kaputten Hinterlauf stirbt man do nich gleich! Ich werd dir mal so'n büschen Gras 'ranschleppen, obwohl ich weiß-die-Füchsin was anderes zu tun hab. Sollst mal sehen, in Null-komma-nix iß dein Lauf wieder so gut wie neu!" Sprach's und begann bereits mit seinem Maul Gras aus der Umgebung herauszurupfen. Er brachte maulvoll zu maulvoll herbei.
Isabella schaute ihn nur dankbar aus ihren großen braunen Augen an und fing an zu fressen. Schließlich hatte der Fuchs genug von dieser, für ihn seltsamen Betätigung, und verabschiedete sich von Isabella.
"Ja, und danke lieber Fuchs, das werde ich dir nie vergessen!", rief Isabella ihm hinterher.
Das Gras reichte, um ihren schlimmsten Hunger zu stillen und alsbald versank sie wieder in einen kummervollen Schlaf.
Als sie wieder erwachte, kitzelte sie etwas an der Nase. Sie schnaufte und hob ihren Kopf. Der Marder machte daraufhin einen großen Sprung rückwärts.
"Meine Güte, habe ich mich erschreckt. Ich dachte du wärest tot, du warst so still. Was ist denn mit dir passiert?"
Isabella erzählte ihre Geschichte.
"Also, so eine doofe Kuh habe ich ja wohl selten gesehen!", rief der Marder und lief vor ihrem Kopf hin und her. "Was hast du dir bloß dabei gedacht? Bei einem Menschen in der Hütte, das konnte ja nicht gut gehen. Ein Cousin von mir, weißt du, der hatte auch mal so ein ähnliches Erlebnis. Hier unterbrach ihn Isabella, deren Schmerzen zugenommen hatten. "Tu mir einen Gefallen und lass mich bitte in Ruhe. Ich habe Hunger und entsetzliche Schmerzen!"
"Hmmh", machte der Marder. "Weiß ja auch nicht was man da macht...Aber ich weiß, wer das wissen könnte. Bleib du nur ruhig hier liegen. Ich hol ihn. Wenn er nicht gerade wieder auf seinem Horst sitzt, müsst ich ihn noch erwischen. Und...weg war er.
Isabella fühlte sich zunehmend schwächer. Dem Marder traute sie nicht all zuviel zu. Überhaupt hatte sie von anderen, die immer alles besser wussten, langsam genug. Sie lagerte sich auf die andere Seite in dem Bemühen eine weniger schmerzhafte Stellung zu finden.
"Tsk, tsk", machte es hinter ihr . Wenn dat man nich die friehetlivende Koh von güstern iß!"
Der Storch stolzierte mit vorgerecktem Hals um sie herum.
"Tscha, de Marder heft me vertellt wie di dir gohn is. Aber ich seh bin betten Willen nich, wie ick ju helpen kann. Een Poch wär villicht dat richtige, aber op de anners Siet, bi di wohl doch nich."
Kannst du nicht Hilfe holen, Storch? In meiner Herde gibt es eine Heil-Kuh, die wüßte was zu tun wäre, sagte Isabella mit zaghafter Hoffnung in der Stimme.
"So, un wie heft ji sik dat vörstellt, dat ick er herbringen schall? Villicht will se ja ga nich mitkomm. Sünd ja nich all Köh so op reisen ut as du!
" Ich glaub schon, daß sie kommt. Meine Mutter und sie waren sehr gut befreundet. Und mutig ist sie auch. Einmal war ein Kalb krank und konnte während einer stürmischen Nacht nicht zu den anderen. Die Heil-Kuh ist die ganze Nacht bei ihm geblieben, obwohl es geblitzt und gedonnert hat!"
"Na good, ick war mien best verseuken, aber wenn se nich glieks mitkummt, kann ick ok nix for ju doon. Min Jongen hefft Hunger un ick kann hier nich den ganzen Dag hin und her flegen.", grummelte der Storch.
"Bitte versuch es Storch! Es ist meine einzige Chance!"
So breitete der Storch seine weiten Schwingen aus, klappte seine langen Beine ein und hob ab. Die Kuh schaute noch eine Weile in den Himmel, bis der Storch nicht mehr zu sehen war. Sie hoffte sehr, dass die Heil-Kuh wirklich kommen würde.
Langsam versank sie wieder in einen unruhigen Schlaf. Diesmal träumt sie.
Sie sah sich selbst, wundervoll geschmückt in einer großen Manege stehen. Auf ihr saß ein kleines Mädchen, angezogen wie eine Prinzessin, mit einem langen Cape, das ihr, Isabella; über dem Rumpf hing. Um sie herum waren viele Lichter. Sie ging stolz, mit hocherhobenem Kopf im Kreis herum. Vor ihr tauchte ein Feuerring auf, durch den sie hindurch gehen sollte. Und sie tat es ohne zu zögern. Um sie herum, brandete der Applaus von vielen Menschen.
Aus der Menge erhob sich eine krächzende Stimme: "Oh nee, ick riep mir meis de Been ut, un se slöpt jümmer blots!"
"Oh, du bist zurückgekehrt Storch und du hast sie mitgebracht!" Vor lauter Freude, wollte Isabella aufstehen und die Rang höhere Kuh begrüßen, doch sie fiel unversehens wieder zurück und stöhnte laut.
"Isabella, was hast du dir nur dabei gedacht?", sagte die Heilkuh, kopfschüttelnd. " Weißt du, deine Mutter war dir in ihrer Jugend sehr ähnlich. Sie war auch sehr abenteuerlustig und wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Leg dich mal auf die Seite, damit ich mir diesen Hinterlauf ansehen kann!" Sanft stupste die Heil-Kuh Isabella in den Bauch. Diese drehte sich und streckte ihren verletzten Lauf der Heil-Kuh entgegen.
"Hmpf", machte Muna. Es ist nicht so schlimm wie es aussieht. Sie schnüffelte noch etwas an Isabellas Bein herum, und leckte dann die Stelle, die am meisten schmerzte.
"Du musst auf jeden Fall an einer anderen Stelle liegen. Lass mich schauen, wo hier in der Nähe das Kraut wächst, das wir brauchen. Muna, wandelte eine Weile schnuppernd in der Nähe herum, bis sie eine geeignete Stelle gefunden hatte. Dann half sie der verletzten Kuh aufzustehen und ließ sie zu der bezeichneten Stelle humpeln. Muna stand dann längere Zeit neben Isabella und rief die große Schutzgöttin der Kühe um Hilfe für Isabella an.
Isabella fühlte sich unendlich getröstet durch die Nähe der Heil-Kuh. Ihr Bein schmerzte auch wesentlich weniger, seitdem sie auf dem Heilkraut lag. Als Muna ihren Heilgesang beendet hatte, erzählte Isabella von ihren Traum.
Muna blickte sie aus weisen Augen an. "Das, was dir bestimmt ist, ist etwas sehr seltenes für eine Kuh. Ich habe noch nie von so etwas gehört. Doch in der Welt der Menschen ist sehr vieles möglich, wohl auch das. Wenn es deine Aufgabe ist in dieser Art den Menschen zu dienen, dann musst du deinem Weg folgen."
"Aber Muna, glaubst du es gibt solch einen Ort wirklich und auch, dass ich dort am richtigen Platz wäre?"
"Träume dieser Art sind sehr ernst zu nehmen, das kannst du mir glauben. Doch erst musst du all deine Kraft darauf verwenden wieder heil zu werden. Nach etwa zwei Nächten, wirst du wieder stehen können. Grase dann erst ein paar Tage, um wieder zu Kräften zu kommen und folge dann deinem Traum!"
"Woher soll ich denn wissen wohin ich gehen soll?", fragte Isabella verzweifelt.
"Lass dich von deinem Herzen leiten, es wird dich führen. Ich muss jetzt zurück zur Herde. Es gibt dort im Augenblick sehr viel für mich zu tun. Für deinen Weg wünsche ich dir alles Gute, liebe Isabella!"
"Bleib doch noch ein wenig!", rief Isabella enttäuscht.
"Das würde ich gerne, doch du bist nicht die einzige verletzte Kuh die mich braucht!", entgegnete Muna abschließend.
Zum Abschied leckte Muna noch einmal über Isabellas Schnauze und machte sich gemächlich auf den Rückweg. "Leb wohl, und danke liebe Muna", rief Isabella der Heil-Kuh nach. Sie war den Tränen nahe. Jetzt war sie wieder ganz allein und obwohl es ihr schon besser ging, spürte sie die Einsamkeit um so stärker.
Wie wir alle wissen, ist Schlaf die beste Medizin und so schlief Isabella, an ihre ungewisse Zukunft denkend, wieder ein. An den folgenden Tagen bemühte sie sich immer wieder aufzustehen und am zweiten Tag gelang ihr das auch, unter dem Einsatz ihres gesamten Willens.
Sie wanderte ziellos, erst in die eine, dann in die andere Richtung, wobei sie immer wieder Pause machen musste, um ihren Hinterlauf zu entlasten. Doch sie konnte jetzt immerhin wieder grasen und am dritten Tag humpelte sie kaum noch. Beim Wiederkäuen ging ihr immer wieder ihr Traum durch den Kopf. Sie sehnte sich sehr nach dem Glücksgefühl das sie empfunden
hatte beim Applaus des Publikums.
Eines Tages, als sie dabei war, einen neuen Weideplatz zu suchen – sie hielt sich immer am Waldesrand auf – ertönte hinter ihr ein Schuss. Erschreckt lief sie in den Wald hinein, so schnell wie sie ihre Beine tragen konnten. Nach einer Weile befand sie sich an einer ihr völlig unbekannten Stelle des Waldes. Die Schüsse waren nur noch in weiter Ferne zu hören.
Vor Erschöpfung lief sie jetzt langsamer und sah vor sich, im lichter werdenden Wald, einen freien Platz. Dort war ein großes Zelt aufgebaut. Es roch stark nach Stall und Sägespänen, doch ganz anders als der Kuhstall, stellte Isabella fest. Um das große Zelt herum waren lauter hölzerne Wagen auf Rädern. Sie waren bunt bemalt und hatten kleine Gardinen an den Fenstern. Isabella empfand den Anblick als einen der schönsten, die sie je gesehen hatte. Der Stallgeruch kam aus einer abgezäunten Ecke in der viele unterschiedliche Tiere standen: zwei Ziegen, ein Bär, ein Lama und ein Schwein. Während sie dort stand und die fremden Gerüche und Anblicke in sich aufnahm, kam ein kleines Mädchen aus einem der Holzwagen heraus.
Sie schien traurig zu sein. Sie hielt den dunkel gelockten Kopf nach unten und bemerkte Isabella erst, als sie schon fast vor ihr stand. Normalerweise wäre Isabella schon davongelaufen, doch erstens war sie furchtbar neugierig und es erinnerte sie alles so sehr an ihren Traum, dass sie stehen blieb. Das Mädchen schaute auf, hielt einen Moment überrascht inne und ging freundlich redend auf sie zu.
"Na, wer bist du denn, und woher kommst du? Du siehst ja fast aus wie..., und hier traten dem Mädchen Tränen in die Augen. Sie wischte sie weg und kraulte Isabella zwischen den Hörnern.
Isabella schnaubte vor Wonne. Das hatte noch keiner bei ihr gemacht und sie genoss die Berührung. Um sich zu revanchieren, versuchte sie die Hand des Mädchens zu lecken.
Dieses lachte und rief: " Ja, und lieb bist du auch!" Dann wurde sie wieder ernst. "Weißt du, ich hatte eine Kuh, die dir sehr ähnlich war. Sie hieß Stella und konnte wundervolle Tricks. Wir hatten zusammen eine Nummer, die die Menschen sehr mochten. Aber sie ist vor einer Woche gestorben. Meine Mutter sagt, sie war einfach alt geworden und ihre Zeit wäre gekommen. Ich vermisse sie sehr!"
Wenn Isabella auch nicht verstand, so spürte sie doch die Traurigkeit und muhte ihr sanft zu. Sie mochte das Mädchen. "Ach, wenn sie doch nur hier bleiben könnte", dachte Isabella sehnsüchtig.
Das Mädchen tätschelte Isabella nochmals den Kopf und wandte sich dann um. Sie ging in die Richtung des großen Zeltes. Isabella folgte ihr. Erst als sie in der Manege stand, bemerkte das Mädchen, dass ihr die Kuh gefolgt war.
"He, was hast du denn vor? Du musst doch hier irgendwo hingehören. Bist wohl deinem Bauern davongelaufen, was?"
Isabella legte sich hin und bedeutete mit einer schwungvollen Drehung ihres Kopfes auf ihren Rücken. Dies war ihre Chance. Sie musste dem Mädchen zeigen, was sie konnte.
Staunend, näherte sich das Mädchen und setzte sich auf Isabellas Rücken. Sie stand auf und ging ein paar Schritte im Kreis herum. Das Mädchen dachte laut nach:" Vielleicht könntest du Stellas Rolle übernehmen. Dann hätte ich wieder meine Nummer. Du müsstest natürlich noch lernen, durch den Feuerring zu laufen. Nun, ängstlich scheinst du na nicht zu sein. Wollen wir's gleich probieren?"
Isabella muhte laut. Das Mädchen sprang von ihrem Rücken und entzündete einen riesigen Feuerreif. Isabella sprang entsetzt zurück. Doch das Mädchen ging leise lockend auf sie zu. Die Kuh beruhigte sich wieder so weit, dass das Mädchen aufsteigen konnte.
"Du kannst es!", flüsterte sie ihr zu. Ich weiß dass du es kannst!"
Zögernd ging Isabella einen Schritt auf den Ring zu, doch dann wurde sie wieder von ihrer Angst eingeholt. Sie wich zurück und bockte leicht mit den Hinterbeinen.
"Nein, nein, das darfst du nicht. Komm versuch es noch einmal!"
Plötzlich standen Isabella die Bilder ihres Traumes vor Augen. Sie erinnerte sich an das Glücksgefühl und die jubelnde Menge. Sie schloss die Augen und ging schnell durch den brennenden Reifen hindurch.
"Ja!", rief das Mädchen. Du hast es geschafft!"
Hinter ihnen hörten sie Applaus. Als sie sich umdrehten, sahen sie den Clown, den Direktor und den Vater des Mädchens, am Rande der Manege stehen.
"Bravo!", riefen sie im Chor. "Julia, wo hast du denn diese Kuh her, fragte ihr Vater. Julia sprang vom Rücken des Tieres und lief zu den Erwachsenen. Sie erklärte ihnen wie sie Isabella kennen gelernt hatte. Der Direktor bestand darauf die Kuh zu behalten. Er machte den Bauern ausfindig, dem die Kuh gehörte und zahlte ihm einen guten Preis.
Inzwischen wurde Isabella für ihre erste Abendvorstellung geschmückt. Sie bekam ein wunderschönes Halsband und trug eine bestickte Decke auf ihrem Rücken. Das Mädchen hatte ihr duftendes Heu gebracht und sie stundenlang gestriegelt, bis ihr Fell glänzte. Als sie am Abend ihren ersten richtigen Auftritt vor Publikum hatte, war alles wie in ihrem Traum. Sie war so glücklich wie noch nie. Sie war sich absolut sicher, dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte.

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